Forschungsprojekt „Pfründbeschreibungen“
Die Pfarreien der Diözese Rottenburg-Stuttgart in ihrem Gründungsjahr 1828.
Edition der ersten „Pfründbeschreibungen“ (1823-1828)
Das Projekt fokussiert die Gründung der Diözese Rottenburg (-Stuttgart) – entgegen der üblichen Perspektive – nicht von „oben“ her (Napoleonische Wirren, Ende des Alten Reiches, Frankfurter Verhandlungen, römische Bullen und Breven), sondern auf der „unteren“ Ebene der Pfarreien und örtlichen Strukturen. Ein solcher Zugang zur Geschichte der Diözese macht umso mehr Sinn, als derzeit pastorale Umstrukturierungsmaßnahmen die „Pfarrei“ als ursprüngliche Kerneinheit von Kirche zurücktreten lassen, sich Kirche aber nach wie vor wesentlich „vor Ort“ realisiert.
„Pfründbeschreibungen“ sind eine hervorragende Quelle für den kirchengeschichtlichen „Blick von unten“. Im 19. Jahrhundert wurden die württembergischen Pfarreien mit allem, was dazugehörte, nach einem festen Frageraster erfasst: die Immobilien (insbes. Kirchen und Kapellen, Pfarr- und Kaplaneihäuser, Friedhof; Zustand, Größe und Ausstattung im Verhältnis zur Anzahl der Gläubigen; Wege und Entfernungen für die Filialisten etc.), die wirtschaftliche Ausstattung (Wiesen, Äcker und Wald, Zehntrechte und Abgaben), die Organisation der Schulen und des kirchlichen Lebens, die „besonderen Obliegenheiten“ des Pfarrers (hier wird frömmigkeitsgeschichtlich Interessantes geboten) sowie Verbesserungsvorschläge der Amtsinhaber. Jeder Pfründbeschreibung vorangestellt ist eine (oral tradierte oder vom Pfarrer eruierte) kurze Geschichte der Pfarrei. Beigegeben sind u.a. topographische Zeichnungen und „Risse“ (Frontalansichten, Pläne von Kirche, Pfarrhaus, Altäre) – mitunter seltene visuelle Quellen für häufig nicht mehr existierende oder veränderte Gebäude und Topographien.
Die flächendeckende Erfassung der katholischen württembergischen Pfarreien wurde am 8. Juli 1823 vom Kath. Kirchenrat angeordnet und bis zur definitiven Errichtung der Diözese 1828 durch Pfarrer, Dekane und Kammerer umgesetzt. Der historische Zusammenhang mit der Zirkumskriptionsbulle „Provida solerque“ von 1821 und den Dotations- und Fundationsinstrumenten ist evident.
Die Diözese Rottenburg, deren Gründung 1828 mit der Einsetzung des ersten Bischofs Johann Baptist Keller (1774-1845) ihren Abschluss fand, vereinte Teilgebiete verschiedener Diözesen (und herrschaftlicher Territorien) mit rund 432.000 Katholiken, die Württemberg infolge der Säkularisation zugefallen waren. Diese machten etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung aus und waren in 623 Pfarreien organisiert, die vormals zu etwa 77 % der Diözese Konstanz, zu 12 % Augsburg, zu 9 % Würzburg sowie mit nur wenigen Pfarreien den Diözesen Worms und Speyer zugehörten. Der bis dahin (fast ausschließlich) protestantische Staat wollte nicht nur Gewissheit über den Umfang der kirchlichen Einrichtungen, über Besitz und Vermögen sowie Rechte und Pflichten haben, ihm stellte sich auch die Riesenaufgabe der Integration der neuen Gebiete und Untertanen in allgemein-organisatorischer, kultureller und nicht zuletzt kirchlicher Hinsicht. Auch diesem Ziel hatte die erste Beschreibung der Pfarreien und Pfründen zu dienen.
Die Pfründbeschreibungen sollen 2028 in mehreren – regional strukturierten – Bänden ediert werden. Die Herausgabe der Bände wird im Namen des Geschichtsvereins der Diözese Rottenburg-Stuttgart kooperativ von einer Arbeitsgruppe übernommen, der neben dem Projektleiter Prof. Dr. Dominik Burkard (JMU Würzburg) folgende Mitglieder angehören: Dr. Herbert Aderbauer (DA Rottenburg), Prof. Dr. Daniela Blum (RWTH Aachen), Angela Erbacher (DA Rottenburg), Prof. Dr. Magdalena Rückert (StA Ludwigsburg). Als studentische Hilfskräfte wirken an dem Projekt derzeit mit: Anna Conrads (Aachen), David Kuhner (Rottenburg), Sven Mau (Würzburg) und Anna Siemer (Würzburg).
Die Diözese Rottenburg-Stuttgart fördert das Forschungsprojekt mit einer Sachbeihilfe.
Projektpartner*innen:
Dr. Herbert Aderbauer, Diözesanarchiv Rottenburg
Prof. Dr. Daniela Blum, Universität Freiburg
Prof. Dr. Dominik Burkhardt, Universität Würzburg
Angela Erbacher, Diözesanarchiv Rottenburg
Prof. Dr. Maria-Magdalena Rückert, Staatsarchiv Ludwigsburg