____DFG-Projekt: Briefwechsel Jaspers/Mayer

„Dein Arbeiten mit mir ist ohne Vergleich.“
Edition des Briefwechsels Karl Jaspers – Ernst Mayer in Auswahl
(Karl-Jaspers-Gesamtausgabe Bd. III/3)


In diesem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Projekt geht es um die Edition (inkl. Auswahl, Transkription und Kommentierung) des für das philosophische Denken von Karl Jaspers (1883–1969) insbesondere in den zwanziger und dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts enorm bedeutsam gewordenen, umfangreichen Briefwechsels zwischen ihm und seinem Schwager Ernst Mayer (1883–1952), der als Band III/3 der im Auftrag der Heidelberger Akademie der Wissenschaften und der Akademie der Wissenschaften zu Göttingen herausgegebenen Karl-Jaspers-Gesamtausgabe (KJG) erscheinen soll.
 


Projektlaufzeit: 1.10.2022 bis 30.9.2024

Projektverantwortlicher:

Professor für Christliche Religionsphilosophie an der Theologischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg

Mitverantwortlicher:

Prof. Dr. Dr. Thomas Fuchs

Karl-Jaspers-Professor für Philosophische Grundlagen der Psychiatrie und Psychotherapie in der Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Zentrum für Psychosoziale Medizin des Universitätsklinikums Heidelberg

Hauptamtlicher Mitarbeiter (Editor): Georg Hartmann M. A.

 


Zur Relevanz von Jaspers’ Denken

Karl JaspersKarl Jaspers gewinnt in der akademischen Philosophie und im öffentlichen Diskurs gegenwärtig zunehmend wieder an Gewicht. Dadurch wird offensichtlich, dass Jaspers zentralen Themen vorgearbeitet und Problemstellungen antizipiert hat, die heute von orientierender Bedeutung sind. Genannt seien hier lediglich sein Konzept der „Achsenzeit“, seine Frage nach einem „europäischen Geist“, das von ihm insbesondere im Spätwerk erörterte Verhältnis von Glauben und Wissen, von Weltphilosophie und Weltpolitik, und schließlich seine um den Begriff der Kommunikation entwickelte philosophische Logik. Jaspers war seiner Zeit in einigen Punkten voraus, allerdings häufig auch sich selbst im Sinne weitgesteckter Programme, die nur teilweise ausgeführt sind, wie die genannte Logik und die Weltgeschichte der Philosophie, oder aber Fragment blieben, wie etwa nach 1945 sein Buchprojekt über deutsche Selbstbesinnung, in dem er vor allem die Bedeutung und Grenzen des Nationalstaatsdenkens bis hin zu seiner möglichen Überwindung im Blick auf die deutsche Geschichte für eine neue philosophisch-politische Kultur fruchtbar machen wollte.

 

Karl Jaspers in den 1960er Jahren,   
© Karl-Jaspers-Stiftung  

Hier können Sie sich auch einen Podcast von "RadioWissen" anhören, in dem sich Prof. Dr. Dr. Markus Enders zu Karl Jaspers' Leben und Werk äußert: https://open.spotify.com/episode/6miKobWvvKaOnylvhtVJuQ

 

Zur Bedeutung der Edition des Briefwechsels Jaspers/Mayer

Ernst Mayer 1916.jpg
    Ernst Mayer 1916, DLA-Marbach

Erst durch die im September 2020 zu Ende geführte Erschließung des Nachlasses von Karl Jaspers, der sich im Deutschen Literaturarchiv Marbach befindet, wurde nun auch die herausragende Bedeutung der intensiven Zusammenarbeit zwischen Karl Jaspers und seinem Schwager Ernst Mayer konkret sichtbar. Dass Ernst Mayer einer der wichtigsten Gesprächspartner Jaspers’ war und dass einzelne Formulierungen bei Jaspers direkt auf Mayer zurückgehen, war spätestens seit dem Erscheinen der Philosophischen Autobiographie von Jaspers schon ersichtlich, allerdings eher implizit als explizit und ohne ein klares Bild über Ausmaß, Tiefe und Reichweite des philosophischen Dialogs zwischen den beiden. Dieses Bild lässt sich nun lebendig nachzeichnen: Es ergibt sich ein epistularisches Großwerk, das zwar anders gelagert, aber in seiner zeit- und geistesgeschichtlichen Bedeutung dem „Jahrhundertbriefwechsel“ zwischen Karl Jaspers und Hannah Arendt durchaus vergleichbar ist.

 

Jaspers an Mayer 1931.jpgDer Briefwechsel zwischen Karl Jaspers und seinem Schwager und Freund Ernst Mayer ist in erster Linie in philosophisch-systematischer Hinsicht von Interesse. Die Edition dieses Briefwechsels soll das lebendige Bild einer außergewöhnlichen Zusammenarbeit entstehen lassen, das den substantiellen Beitrag Mayers zur Genese mehrerer bedeutender Werke Jaspers’ aufzeigen und zugleich eine für Jaspers und sein Philosophieren zentrale Person vor ihrem besonderen kulturellen und politischen Hintergrund sichtbar machen soll. Denn nicht trotz, sondern gerade wegen der schwerwiegenden Spannungen zwischen den beiden, die vor allem während der gemeinsamen Arbeit an Jaspers’ Nietzsche-Buch in den Jahren 1934 und 1935 auftraten, kann Mayer als der für Jaspers wohl bedeutendste philosophische Weggefährte gelten. Zusammen mit Max Weber und seiner eigenen, wie Jaspers es in seiner Philosophischen Autobiographie beschreibt, in einem philosophisch umgeformten biblischen Glauben stehenden jüdischen Gattin Gertrud Mayer-Jaspers wird Ernst Mayer als entscheidende zeitgenössische Gestalt für die Entwicklung seines Philosophierens erscheinen. Mit keiner anderen Person, auch keinem akademisch verankerten Philosophen, hielt Jaspers an einer so intensiven, über drei Jahrzehnte währenden Zusammenarbeit fest.
 
 

 

Karl Jaspers an Ernst Mayer, 3.1.1931,  
DLA-Marbach, A: Jaspers  

Diese Zusammenarbeit wäre verkannt, wenn sie lediglich als Hilfestellung, im Ganzen aber doch nur als ein akzidentelles Beiwerk zur kooperativen Entstehungsgeschichte eines der Werke Jaspers’ betrachtet werden würde. Vielmehr kann und muss sie an ihrem wesentlichen Anspruch kommunikativer Denkarbeit im Rahmen einer Freundschaft gemessen werden. Damit ist eine zweite systematische Bedeutung dieses Briefwechsels benannt: Sie besteht in der von Jaspers und Mayer behaupteten zentralen Bedeutung der Freundschaft als Keimzelle einer möglichen Wiedergewinnung jenes gemeinsamen Bodens, der mit der für die Philosophie ausgefallenen Berufung auf rein wissenschaftliche Fundierung und Verwirklichung einerseits, oder auf eine feststehende philosophische Schulbildung andererseits verlorengegangen war. Als wohl wichtigstes systematisches Thema des Briefwechsels soll insofern die offen oder latent immer wiederkehrende Frage nach der Möglichkeit und dem Wesen einer philosophisch-existentiellen Kritik im Blick behalten werden.

Mayer an Jaspers 1931.jpgDie vorliegenden Dokumente erlauben es, Jaspers’ Prinzipien des Philosophierens in der Auseinandersetzung mit seinem Freund Ernst Mayer in Gelingen oder Misslingen konkret am Werk sehen zu können. Der Leser dieses Briefwechsels soll dazu befähigt werden, einen Einblick darin zu gewinnen, an welchen Stellen und auf welche Weise diese philosophische Gemeinschaft an ihre Grenzen gestoßen und in unausgesprochenen Abzweckungen unterhalb des Ideals einer freien Kommunikation geblieben sein könnte. Damit soll auch eine wichtige Vergleichsgröße zu den beiden andersartigen, je auf ihre Weise bedeutenden Briefwechseln Jaspers’ mit seinem nur zeitweiligen Weggefährten Martin Heidegger und seiner ehemaligen Schülerin Hannah Arendt bereitgestellt werden: Mit allen drei Personen verband Jaspers die kontinuierliche Bemühung um eine Klärung der eigenen Position in der Spannung eines eigenständigen und zugleich geschichtlich bestimmten Denkens, die von diesen drei Korrespondenzpartnern Jaspers’ auf je eigene Art aufgefasst wurde.
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

   Ernst Mayer an Karl Jaspers, 6.1.1931,
   DLA-Marbach, A: Jaspers

Projektziele

Mit der Edition ausgewählter Teile der Korrespondenz zwischen Karl Jaspers und Ernst Mayer soll ein bisher noch weitgehend unbekannter, aber für die Philosophiegeschichte des zwanzigsten Jahrhunderts zentraler Briefwechsel zugänglich gemacht werden. Die im September 2020 beendete Erschließung des Jaspers’schen Nachlasses brachte zahlreiche bislang unbekannte Materialien zum Vorschein, die die außergewöhnliche Bedeutung seines Schwagers und Freundes Ernst Mayer für die Genese zentraler Werke Jaspers’ sichtbar machen. Die enge Zusammenarbeit der beiden, die von den 1920er Jahren bis zum Tod Mayers 1952 reichte, spiegelt sich in einem umfangreichen Briefwechsel und zahlreichen Texten Mayers mit Werkbezug bzw. eigenem Manuskript- oder Werkcharakter wider. Die Briefe und Texte sind nicht nur für die Werke beider sowie ihr philosophisches Selbstverständnis, sondern auch in biographischem und zeitgeschichtlichem Sinn für zukünftige Forschungsarbeiten von herausragender Bedeutung.

Methode

Methodisch orientiert sich das Editionsvorhaben an den Richtlinien der KJG, in deren dritter Abteilung als Band III/3 der KJG die Korrespondenz Jaspers/Mayer erscheinen soll. Die KJG versteht sich als Leseausgabe, geplant ist also auch im vorliegenden Fall keine historisch-kritische Edition des Briefwechsels zwischen Jaspers und Mayer. Vielmehr sollen die ausgewählten Briefe ebenso wie die einschlägigen Manuskripte in einer leicht lesbaren und übersichtlichen Form zugänglich gemacht werden, ohne auf philologische Standards zu verzichten. Die Bände der KJG enthalten neben den Haupttexten jeweils eine Einleitung, einen Stellenkommentar sowie ein Namenregister.

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