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„Es ist ja nicht alltäglich, dass ein blinder Student an der Fakultät studiert.“ - Sieben Fragen an Tom Kölblin

„Vriiher, tuerbet ftarf irrt eerrn1 2egt hie . ft lt zu tteeanamTageb er 23 e 4eit 1" ep'ef. 6, 10. 13. -t lii o Ii tenta ift ft t a g Rüftrag fatl)olifert 2Qefene. So ein Buchstabensalat kommt heraus, wenn Tom Kölblins Assistenzsystem einen Sütterlin-Text in Braille-Schrift überträgt. Tom Kölblin ist blind – und hat vor einem Jahr mit dem Studium der Geschichte und Theologie in Freiburg begonnen. Und auch wenn viele Dinge im Studium ganz gut funktionieren, gibt es auch unerwartete Hürden. Darüber spricht er im Interview mit Kathrin Senger und Bernhard Spielberg.

 

Herr Kölblin, seit dem Wintersemester 2020 studieren Sie Theologie und Geschichte in Freiburg. Wie sind Sie eigentlich dazu gekommen?

Tom Kölblin: Ich habe mich schon immer für verschiedene Religionen interessiert, und auch mein Interesse für Geschichte hat sich nach und nach immer mehr verfestigt. Deshalb habe ich beschlossen, etwas in diese Richtung zu studieren. Gerne hätte ich Theologische Studien als Hauptfach gewählt, allerdings müsste ich dafür Altgriechisch lernen – und das stellt für mich eine Barriere dar. Die Sprache ist mit der Technik, die es aktuell gibt, für mich nicht erlernbar.

 

Sie gehören zu dem Jahrgang, der das Studium unter Pandemiebedin-gungen begonnen hat. Wie war Ihr erstes Semester unter diesen Bedingungen?

Tom Kölblin: Der Einstieg war nicht einfach. Gerade das Zurechtfinden auf den Plattformen HisInOne und ILIAS waren ohne Hilfe ein richtiges Problem, weil die Seiten kaum barrierefrei gestaltet sind. Zudem war es schwierig, nicht zu wissen, wer gerade mit mir in der digitalen Vorlesung oder auch in den Breakoutsessions sitzt. Dort waren die Sehenden klar im Vorteil. Zudem gab es große organisatorische Probleme mit der GeKo (Anm.: die Gemeinsame Kommission der Philosophischen und der Philologischen Fakultät und unter anderem für die dortigen Prüfungsmodalitäten zuständig), die aber mit Hilfe von Frau Trötschel (Anm.: die Studiengangkoordinatorin der Theologischen Fakultät) stets gut gelöst werden konnten.

Und dann musste ich schon im ersten Semester eine Hausarbeit schreiben, was eine sehr große Herausforderung für mich war. Die Auswahl von geeigneter Literatur hat sich als schwierig erwiesen: ich kann ja nicht ein-fach querlesen, um zu erkennen, ob sich ein Buch für mein Thema eignet. So kann es sein, dass ich das Inhaltsverzeichnis eines Buches als geeignet empfinde, mir dieses Buch bestelle und sich im Nachhinein herausstellt, dass es doch nicht zur Thematik passt. Meine Assistenz war hier auf jeden Fall sehr gefordert, vor allem mit dem Scannen der Bücher.
Insgesamt sagen mir meine Studienfächer aber überwiegend zu. Viele Vorlesungen und Seminare sind sehr interessant gestaltet. Im zweiten Semester habe ich jetzt auch zusätzlich Übungen gewählt, und dort macht das Studieren richtig Spaß. Da sind weniger Teilnehmende, sodass man mit den Kommiliton*innen und Dozierenden ins Gespräch kommen und diskutieren kann. So sollte Studieren meiner Meinung nach sein.

 

Wie sieht denn ein typischer Tag an der Uni für Sie aus?

Tom Kölblin: So ganz genau kann ich das gar nicht sagen. Meistens ist es so, dass ich mich am Vortag auf die Vorlesungen vorbereite, die am nächsten Tag stattfinden. Nach den Vorlesungen, die ja momentan über Zoom oder BigBlueButton laufen, nehme ich mir dann die Nachbereitung vor oder recherchiere, wenn z.B. innerhalb der Vorlesung Fragestellungen zu bearbeiten sind. Wenn es notwendig ist, treffe ich mich mit meiner Assistenz auch vor Ort in Freiburg, um Bücher auszuleihen, Formatierungen vorzunehmen oder Lektüre zu scannen. Je nach Wochentag gibt es dann abends auch noch Vorlesungen – und wieder die Vorbereitung auf den nächsten Tag.

 

„Barrierefrei“ klingt in der Theorie gut. Woran merken Sie, dass es an der Uni und in den Lehrveranstaltungen tatsächlich barrierefrei zugeht?

Tom Kölblin: Wie barrierefrei die Uni tatsächlich ist, kann ich bis jetzt noch nicht beurteilen, da es für mich noch keine Präsenzveranstaltungen gab. Ich kenne auch die Wege in den diversen Gebäuden nicht, das muss mobilitätsbetreuend noch in die Wege geleitet werden. Positiv hervorheben kann ich auf jeden Fall, dass ich in der UB einen ausgestatteten Blindenarbeitsraum habe, in dem ich mit meiner Assistenz ungestört arbeiten kann. Das ist ein richtiger Luxus, und dafür möchte ich der UB auch meinen Dank aussprechen.
Die Lehrveranstaltungen, die zurzeit online ablaufen, funktionieren eben-falls recht gut – vorausgesetzt, das zur Verfügung gestellte Material ist lesbar. Seitdem ich mit zwei Computern arbeite, geht das Ganze auch wirklich super. Da kann ich gleichzeitig im Meeting präsent sein und mit den Dateien arbeiten, die ich für die Sitzung benötige.

 

Was würde Ihnen von Seiten der Studierenden helfen, um gut studieren zu können – und was geht schon ganz gut?

Tom Kölblin: Ganz gut ist auf jeden Fall, dass ich an den Groupsessions teilnehmen kann, und die Studierenden sich auch auf mich einlassen. Momentan habe ich allerdings mehr Kontakt mit Dozierenden als mit Studierenden. Die Erfahrungen mit den Dozierenden sind auf jeden Fall überwiegend gut. Die meisten haben sich mit der Situation bereits auseinandergesetzt, dass ich als blinder Student in ihren Kursen mitstudiere. Das heißt natürlich noch nicht, dass die besonderen Bedürfnisse auch erkannt worden sind. Dafür habe ich aber Verständnis. Es ist ja nicht alltäglich, dass ein blinder Student an der Fakultät studiert.


Was würde Ihnen von Seiten der Dozierenden denn helfen, um gut studieren zu können?

Tom Kölblin: Ich habe momentan ein Proseminar, das stark visuell gestaltet ist. Da ist es schwierig, mir zum Beispiel eine Karikatur von anderen Studierenden beschreiben zu lassen. Denn zum einen hat jeder eine andere Perspektive, zum anderen fehlt mir die reine Vorstellungskraft, um mir ein Bild komplett erschließen und dann auch richtig interpretieren zu können.

 

Wenn man Sie nach Corona hoffentlich vor der Uni trifft und Ihnen helfen möchte, wie sollte man da vorgehen?

Tom Kölblin: Erstmal ist es wichtig, mich anzusprechen und zu fragen, ob ich Hilfe benötige. Es ist auf jeden Fall nicht ratsam, mich einfach mitzunehmen. Also: Einfach fragen – und wenn ich Hilfe brauche, werde ich das Angebot bestimmt nicht abschlagen.

 

Tom Kölblin (*2000) studiert seit dem Wintersemester 2020 Neuere und Neueste Geschichte (HF) und Theologie (NF) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau.

Kathrin Senger (*1993) studiert seit dem Sommersemester 2018 Theologie (Magister) an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau und ist Mitglied im Ausschuss für Gleichstellung und Vielfalt der Theologischen Fakultät.

Dr. Bernhard Spielberg (*1976) ist Professor für Pastoraltheologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg im Breisgau und Gleichstellungsbeauftragter der Theologischen Fakultät.
 

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